Band: LESOIR
Album: Latitude
VÖ: 17.11.2017
Label: Gentle Art Of Music/Soulfood
Manche Band erzeugt gar fantastische Bilder: herrliche Farben, kunstvolle Motive und beeindruckende Schatten der Emotion im inspirierten Rahmen. Lesoir reicht das jedoch nicht, sie drehen auf ihrem neuen Album das größere Rad. Manche Werke sind auf Maße, Normen und Formate beschränkt, nicht so Latitude. Etwa Da Vincis Mona Lisa mag beeindrucken, doch wie spektakulär muss es erst gewesen sein, diese geheimnisvolle Frau wirklich erleben zu können? So ähnlich lässt sich das Verhältnis zwischen Latitude und gewöhnlichen Artrock-Alben beschreiben.
Das Auge kann so viel mehr als nur eine Abfolge von Bildern sehen, denn es gibt jedem Gefühl seine erste Kontur. Ähnliches lässt sich über das Gehör sagen. Musik kann die Zusammenfügung von Klängen sein, in seltenen Momenten gelingt es ihr jedoch, tiefer zu sein und Wahrheit abzubilden. Dieses Kunststück ist Lesoir mit Latitude gelungen. Das vierte Studioalbum der Niederländer ist weniger eine geschickte Illusion, sondern es verfügt tatsächlich über die dreidimensionale Form der Realität, die andere Werke eben nur scheinbar bieten.
Im Vergleich zu den Vorgängerwerken legen Lesoir diesmal deutlich intensiveren Fokus auf eine progressive Ausrichtung, welche der Melodie den Vorzug vor der bloßen Wucht gibt. Mehr denn je ist man auf eine ebenso ausgewogene wie experimentell-mutige Balance zwischen Lyrics, Melodie, Groove und explosiver Dynamik bedacht. So achtet man z. B. auf Latitude sehr zielgerichtet darauf, der Musik im Mix Raum zum Atmen zu geben. Da trifft es sich natürlich blendend, dass man an den Reglern einen Zauberer wie John Cornfield sitzen hatte, der u. a. bereits für den legendären „Absolution“-Sound von Muse zuständig war.
Die kunstvolle Struktur im Klang hilft dann auch, die vielschichtigen Reliefs der inhaltlichen Themen präzise zu formen und zu übersetzen. Ob Klimawandel, die Rolle der Menschheit auf dem Planeten oder gar die markerschütternde Geschichte des Bandfreunds und Bataclan-Terror-Überlebenden Ferry Zandvliet: Lesoir bringen die Schönheit der Melancholie mit der schroffen Boshaftigkeit des zerklüfteten Ödlands zusammen und schaffen daraus so imposante wie berührende Musik.
Diese Mal hat man sich für die Produktion im Sawmills Studio von Sound-Maestro John Cornfield einquartiert, doch damit nicht genug: diesmal wurde obendrein noch The Pineapple Thief-Frontmann Bruce Soord als Co-Produzent hinzugezogen, was den Songs eine weitere Dimension der Tiefe verleiht, in die man die komplexen Kompositionen hat einbetten können. Nie zuvor haben es Maartje (Gesang, Flöte, Piano), Eleën (Gesang, Gitarre, Keyboard, Percussion), Ingo (Gitarre), Bob (Schlagzeug) und Ingo (Bass) geschafft, die komplexen Welten ihrer Musik auf den Punkt zu bringen.
Latitude strotzt vor Lebendigkeit und durchstößt die Grenze zu einer ganz neuen Dimension der Musik.